Am 20. Juli 1944 scheiterten deutsche Offiziere beim Versuch, Adolf Hitler durch einen Staatsstreich zu beseitigen. Zahlreiche Personen, vor allem Freunde und Familienangehörige aus dem Kreis der Attentäter, wurden daraufhin festgenommen. Zudem verhaftete die Gestapo im Rahmen der „Aktion Gewitter“ Abgeordnete und Funktionäre der politischen Oppositionsparteien der Weimarer Republik, darunter auch Wilhelm Kaisen. Diese Festnahmen basierten auf Namenslisten, die in den 1930er-Jahren erstellt worden waren und standen nicht im Zusammenhang mit den Attentätern vom 20. Juli.
llse Kaisen Unser Leben in Borgfeld erinnert sich:
„Wie diese Verhaftungen für den Einzelnen ausgegangen sind, weiß ich nicht. In unserem Fall war es so, dass mein Vater mich in der Firma anrief und sagte, dass die Gestapo bei uns war, ihn verhaftet habe und es ungewiss sei, wie es ausgehen würde. (…) Ich machte mich sofort auf den Weg und hatte Angst um unsere Mutter, wie sie wohl damit fertig würde, aber meine Sorge war unbegründet. Man war zu Hause dabei, alle Bücher, die verboten waren, unter Heu und Stroh zu verstecken, falls noch Hausdurchsuchungen folgen sollten, und die Nachbarn machten einen Plan, wie man uns helfen wollte. In der Dämmerung am Abend standen wir draußen an der Gartenpforte, als plötzlich unsere Nachbarin aufsprang und rief: „Da kommt euer Vater!“ Tatsächlich, es kam eine männliche Gestalt, die den Hut schwenkte, und wir waren alle froh und erleichtert.“
Die „Aktion Gewitter“ leitete für den gesamten Gau Weser Ems – von Vechta bis Stade – die Gestapo-Leitstelle Bremen. Ab dem 23. August 1944 wurden über 200 Personen festgenommen, die meisten nach einiger Zeit wieder entlassen. Als Gründe wurden Haftunfähigkeit, Angehörige, die im Dienst der Wehrmacht standen bzw. gefallen waren oder Auszeichnungen im Luftschutz angeführt. Dabei handelte die Bremer Gestapo nicht eigenmächtig. Die Entscheidungen erfolgten in Abstimmung mit dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Im Verlauf der Aktion sind auch Beschwerden örtlicher Kreisleiter dokumentiert: Es breite sich Unmut in der Bevölkerung aus, weil die Verhaftungen Personen beträfen, von denen aufgrund von Alter, Lebensführung oder Einstellung keine Gefahr für den NS-Staat ausgehen würde.
Wilhelm Kaisen wurde im Rahmen der „Aktion Gewitter“ am 28. August 1944 (also etliche Tage nach dem Beginn der Verhaftungswelle) in Borgfeld festgenommen, nach Bremen gebracht und gegen Abend entlassen. In seinem Fall gab es mehrere Gründe, die gegen eine Lagereinweisung und weitere Inhaftnahme sprachen: Sein Sohn Niels war 1942 als Soldat auf der Krim gefallen und postum militärisch ausgezeichnet worden, er selbst war im Luftschutz der Siedlung Katrepel tätig. Für Kaisen und seine Familie war seine erneute Verhaftung ein Zeichen, dass er selbst in Borgfeld immer mit dem Zugriff der Gestapo zu rechnen hatte.
In seinen Lebenserinnerungen Meine Arbeit, mein Leben schildert Kaisen die erneute Festnahme mit knappen Worten:
Hier (in Borgfeld) erschien sie noch einmal, und zwar im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944, der das Ende des deutschen Diktators bringen sollte. Bereits am anderen Tage wurde ich verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis gebracht. Das geschah am frühen Morgen. Abends wurde mir eröffnet, daß ich wieder frei sei. Die Gestapo betrachtete offensichtlich die Verschwörung als eine Angelegenheit des Militärs. Ich machte geltend, daß die Ernte einzubringen sei und viele auf meine Hilfe angewiesen wären. Mir fiel auf, daß die Gestapoleute bei meiner ersten Verhaftung viel mehr Eifer an den Tag gelegt hatten, um als unbedingt zuverlässig zu gelten, als bei dieser zweiten Verhaftung. Sie taten etwas verdrossen ihre Pflicht, als ob sie schon fühlten, wie brüchig der Boden wurde, auf dem sie ihre Herrschaft aufgerichtet hatten. Anscheinend waren sie sich schon der Gefahr bewußt, in die sie bald geraten sollten.