In Bremen gibt es über 300 rechtsfähige Stiftungen. Die älteste von ihnen, die Stiftung „Haus Seefahrt“, geht auf das Jahr 1545 zurück. Andere Stiftungen sind jünger. Zu ihnen gehört die Wilhelm und Helene Kaisen- Stiftung. Aber auch diese wird in diesem Jahr 2020 schon 25 Jahre alt.
„Borgfelder Anwesen wird in eine Stiftung umgewandelt“, hatte am 30. Juli 1995 der Weser-Kurier gemeldet. Am Vortag hatten Ilse und Franz Kaisen, die Nachkommen des ehemaligen Bremer Bürgermeisters Wilhelm Kaisen und seiner Frau Helene, die Stiftungsurkunde unterschrieben und die Gründung der Stiftung am 1. August anlässlich der Feier zum 50. Jahrestag der Betrauung Wilhelm Kaisens mit dem Amt des Bürgermeisters und Präsidenten des Bremer Senats bekannt gegeben.
Das „Borgfelder Anwesen“ war die Siedlerstelle am Rethfeldsfleet in Bremen-Borgfeld, die Wilhelm Kaisen 1933 nach seinem Ausscheiden aus dem Bremen Senat erworben hatte und wo er zusammen mit seiner Frau Helene und den Kindern bis zu seinem Tode im Jahre 1979 gelebt hatte. Auch nach seinem Tode war die Siedlerstelle von Ilse und Franz Kaisen bewohnt und landwirtschaftlich genutzt geblieben. Geblieben war auch der drängende Gedanke, was einmal aus dem Elternhaus und dem elterlichen Erbe werden würde. „Wir haben ja keine Erben. Wir müssen mal überlegen, was später wird.“ 1992 hatte sich Ilse Kaisen anlässlich des 70. Geburtstags ihres Bruders sorgenvoll an Hans Koschnick gewandt, selbst lange Jahre Bürgermeister und Präsident des Senats.
Langsam entstand der Plan, das Anwesen in Borgfeld als „Stätte bremischer Geschichte“ in Form einer Stiftung zu sichern und ihm eine Zukunft zu geben. Als Hans Koschnick 1994 als Administrator der EU nach Mostar ging, übernahm der damalige Bremer Finanzsenator Volker Kröning das Stiftungsprojekt und entwickelte zusammen mit dem langjährigen Anwalt der Familie Kaisen, Dr. Rudolf Monnerjahn, die Satzung der künftigen Stiftung, die nun ausdrücklich neben dem Wilhelm Kaisens auch den Namen seiner Ehefrau Helene Kaisen tragen sollte.
„Mit dieser Stiftung soll das Andenken an das Wirken und die Leistungen Wilhelm Kaisens und seiner Ehefrau Helene für die Freie Hansestadt Bremen und deren Bürgerinnen und Bürger der Nachwelt erhalten werden,“ heißt es in der Präambel der Satzung. Hierzu sollte insbesondere „das Anwesen der Familie Kaisen unter Wahrung seines Charakters am Rande des Ortsteils Bremen-Borgfeld auf Dauer“ erhalten bleiben, das Wohnhaus der Familie als Gedenkstätte der Allgemeinheit zugänglich gemacht und im Nebengebäude die Aufbewahrung und Pflege des Nachlasses ermöglicht und fachlich sichergestellt werden. Als Organe sah die Satzung der Stiftung einen Vorstand, bestehend aus drei, und ein Kuratorium von sechs Personen vor, darunter „qua Amt“ der Präsident des Senats. Später wurde das Kuratorium um einen Sitz erweitert; dem Vorstand können mittlerweile bis zu drei Stellvertreter zur Seite gestellt werden.
I.
Als vorrangig sah die Stiftung an, die in der Satzung ausdrücklich erwünschte Einrichtung für behinderte Menschen zu errichten: „Auf einem unbebauten Teil des Grundstücks soll durch einen der Familie verbundenen Freien Träger eine soziale Einrichtung für behinderte Kinder (einschließlich Jugendliche und Erwachsene) errichtet und unterhalten werden“.
Das entsprach rückschauend dem gelebten sozialen und politischen Denken und Handeln Wilhelm und Helene Kaisens. Wilhelm Kaisen hatte als Senator während der Jahre 1928 bis 1933 und noch einmal 1945 das Wohlfahrtsressort im Bremer Senat verwaltet, Helene Kaisen 1920 zum weiteren Kreis der Mitbegründerinnen des Bremer Ortsausschusses der Arbeiterwohlfahrt gehört. Die Sorge um die Lebensqualität der „kleinen Leute“ war stets, besonders in den schweren Jahren der Weltwirtschaftskrise, ihr gemeinsames politisches Ziel gewesen.
Hinzu kam, dass ihr gemeinsamer Sohn Franz 1922 behindert zur Welt gekommen war. Seine Schwester Ilse wusste, was es bedeutete, ein behindertes Kind in der Familie zu haben, und ein Leben lang für den behinderten Bruder in Sorge und Verantwortung da gewesen zu sein.
Mit dem Projekt einer Einrichtung zur Betreuung geistig und mehrfach behinderter Kinder und Jugendlicher betrat die Stiftung Neuland. In Bremen hatte es so etwas bislang nicht gegeben.
Von der Stiftung angesprochen, legte die Bremer Arbeiterwohlfahrt (AWO) am 29. Oktober 1995 ein erstes Planungskonzept für ein künftiges Behindertenwohnheim in Borgfeld vor: Eine Wohneinrichtung mit 24 Plätzen in Wohngruppen, ergänzt durch Tagesgruppen, drei Häuser, ein Kinderspielplatz. Als Partner konnte der Arbeitersamariterbund (ASB) gewonnen werden. Ortsamt Borgfeld und Bremer Sozialressort wurden von der Idee überzeugt und signalisierten Zustimmung.
Im Juli 1996 einigten sich die Beteiligten darauf, dass die künftige Einrichtung durch die Stiftung gebaut und später durch AWO und ASB bzw. eine Tochtergesellschaft betrieben werden sollte. Im Oktober 1996 unterzeichneten die Stiftung und die Firma Dr. Hübotter Wohnungsbau GmbH einen Treuhand- und Generalübernahmevertrag über den Bau der Einrichtung, wenig später Stiftung und Kaisen-Stift Betriebsgesellschaft mbH die Betriebsübernahme durch AWO und ASB und einen Mietvertrag. Und auch die Finanzierung gelang mit Hilfe zinsgünstiger Kredite der Sparkasse in Bremen und großzügiger privater Spender, die sich dem Gedankengut Wilhelm und Helene Kaisens verpflichtet fühlten.
Im April 1997 konnte der Grundstein gelegt werden, „in Erinnerung an das soziale Denken und Handeln Helene und Wilhelm Kaisens“, wie die Bremer Medien berichteten. Am 22. Mai wurde Richtfest gefeiert, und am 1. Oktober 1997 hieß es: “Die ersten Kinder sind ins neue Kaisen-Stift eingezogen“. Die Einrichtung war offiziell „in Betrieb gegangen“. Ein Jahr später war das Heim mit Kindern aus Bremen und dem niedersächsischen Umland voll belegt.
Seitdem begleitet die Stiftung die Arbeit des Kaisens-Stifts konzeptionell und finanziell durch jährliche Gebäudeaufwendungen, Reparaturen und Möbelbeschaffungen. 2011 bzw. 2017 kam zur ursprünglichen Wohnanlage, die 1998 mit dem BDA-Preis Bremen ausgezeichnet worden war, das in der Nachbarschaft gelegene ehemalige Wohnhaus der 1986 verstorbenen Tochter Kaisens, Inge Menze, hinzu. Das Kaisen-Stift, das seit 2017 ausschließlich vom ASB betrieben wird, verfügt zurzeit über 26 Wohnplätze und wird betreut von 85 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Die Kinder und Jugendlichen besuchen bremische Schulen und werden auf den Übergang zum selbstbestimmten, betreuten Wohnen außerhalb des Stifts vorbereitet.
II.
Auch mit dem Vorhaben, das Wohnhaus der Familie Kaisen als Gedenkstätte der Allgemeinheit zugänglich zu machen und im Nebengebäude den politischen und privaten Nachlass Wilhelm und Helene Kaisen zu sichern und zu pflegen sowie wissenschaftlich nutzen zu lassen, begab sich die Stiftung auf Neuland. Zwar gab es in Heidelberg bereits die Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte und in Rhöndorf bei Bonn die Gedenkstätte der Stiftung Bundeskanzler Adenauer-Haus, aber auf Länderebene fehlte bislang Vergleichbares. Inzwischen sind mit dem Theodor-Heuss-Haus in Stuttgart-Killesberg und dem Wohnhaus Helmut Schmidts in Hamburg-Langenhorn neue Einrichtungen auf Bundesebene hinzugekommen, aber im Kreis der Bundesländer ist die heutige Dokumentationsstätte Wilhelm und Helene Kaisen immer noch einzigartig.
1997 war das Wohnhaus der Familie Kaisen noch durch die Geschwister Franz und Ilse bewohnt. Die Überlegungen und Planungen der Stiftung konzentrierten sich daher zunächst auf die Nutzung des Nebengebäudes, die Scheune. Der Gedanke ihrer Nutzung als Archiv wurde schnell fallen gelassen. Befanden sich doch bereits umfangreiche Teile des Nachlasses Wilhelm aber auch Helene Kaisens im Staatsarchiv Bremen.
Ende 1997 stimmte das Kuratorium der Stiftung einem Positionspapier des Vorstands zu, das vorsah, das Gesamtensemble aus Wohnhaus, Hofanlage und Gewächshaus in eine „Gedenkstätte Wilhelm Kaisen“ umzuwandeln und diese eng mit dem Staatsarchiv Bremen zu verknüpfen. Die organisatorische Umsetzung des Papiers erwies sich in der Folge als ausgesprochen schwierig. Zwar unterstützte die Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Kunst zunächst grundsätzlich die baulichen und konzeptionellen Überlegungen der Stiftung, lehnte aber schließlich nach längerem hin und her die Entstehung einer „in Borgfeld dem Staatsarchiv zuzuordnenden neuen musealen Einrichtung“ entschieden ab. Eine fachliche Beratung erklärte sie als vorstellbar, aber mehr auch nicht. Dabei blieb es in der Folge. Heute begleitet das Staatsarchiv fachlich beratend die Dokumentationsstätte, stellvertretend u.a. durch seinen Leiter im Kuratorium.
Nicht minder schwierig war das Zustandekommen der Finanzierung der neuen Einrichtung. Stiftungen wie die Stiftung Wohnliche Stadt oder die Waldemar-Koch-Stiftung machten ihre Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung der Dokumentationsstätte von einer Beteiligung des Senats abhängig. Erst nach längeren Bemühungen gelang es der Stiftung, den Senat zu bewegen, im Rahmen der Nutzung historischer, denkmalgeschützter Gebäude einen einmaligen Investitionsbeitrag zu leisten. Nun folgten auch die privaten Spender, unter ihnen die Karin und Uwe Hollweg-Stiftung und das damalige Bauunternehmen Bernhard und Hermann Kathmann, so dass Ende 1999 die Gesamtfinanzierung endlich gesichert war und mit der konzeptionellen Ausgestaltung und dem Umbau zur Dokumentationsstätte begonnen werden konnte. Auf der Grundlage eines Konzeptes des Diplom-Designers Dietmar Erben übernahm das Architektenbüro Hilmes und Lamprecht den Innenausbau der Scheune, bemüht, so viel wie möglich von der alten Bausubstanz zu erhalten und zugleich ausreichende Ausstellungsflächen zur Verfügung zu stellen.
Jetzt wechselten der Schreibtisch, an dem Wilhelm Kaisen 20 Jahre als Bürgermeister gearbeitet hatte, und das Porträt von Hermann Zeidler, das in Bürgermeister Koschnicks Dienstzimmer hing, vom Rathaus in die Borgfelder Scheune. Das Staatsarchiv stellte originale Dokumente aus dem politischen Wirken Kaisens zur Verfügung. Landwirtschaftliche Geräte, die beim Aufräumen der Scheune und seiner Nebengebäude gesichert worden waren, wurden aufgearbeitet und sollten künftig vom landwirtschaftlichen Arbeiten auf der Siedlerstelle Zeugnis ablegen. Aus professioneller Hand entstand ein zwanzigminütiger Videofilm über Leben und Werk Wilhelm Kaisens, eine Möglichkeit, Kaisen künftig auch im Originalton begegnen zu können. Am 29. März 2001 wurde die Dokumentationsstätte feierlich eingeweiht. Vier Jahre später kam auf Nachfrage vieler Besucherinnen und Besucher ein besonderer Raum über das Leben und Wirken Helene Kaisens hinzu. Heute ist die Dokumentationsstätte am zweiten Sonntag jeden Monats geöffnet und wird darüber hinaus immer wieder durch unterschiedlichste Gruppen besucht.
III.
Oft sind es ältere Menschen, die in Wilhelm und Helene Kaisen auch Teile ihrer eigenen Geschichte wiederfinden. Es ist die Nachkriegszeit, die Zeit des Wiederaufbaus in Bremen, eine Epoche, von der die jüngeren Besucher der Dokumentationsstätte oftmals nur aus den Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern wissen. Sie zu erreichen, ist das besondere Anliegen der Stiftung, gerade jetzt, 75 Jahre nach Kriegsende, wo vielen jüngeren Menschen das von der Gesellschaft Erreichte so selbstverständlich erscheint. Dabei gilt es kritisch zu berücksichtigen auf verschiedenen Feldern in Gesellschaft und Politik ist auch Wilhelm Kaisen „Kind seiner Zeit“ gewesen.
Seit über zehn Jahren schon besuchen regelmäßig die Abschlussklassen der Wilhelm-Kaisen-Oberschule und Gruppen anderer Schulen die Dokumentationsstätte. Hier begegnen sie u.a. einer politischen Persönlichkeit, die sie in ihrer Bescheidenheit und ihrer Verantwortung für die „kleinen Leute“ so nicht kennen. Gemeinsame Projekte ergänzen die Besuche. 2009 initiierte die Stiftung anlässlich des 60. Jahrestages der Verabschiedung des Grundgesetzes eine szenische Lesung in der Bremischen Bürgerschaft durch Schüler und Schülerinnen der Kaisen-Schule. Die Zusammenarbeit regelt seit dem 12. August 2018 eine Kooperationsvereinbarung zwischen Stiftung und der Wilhelm-Kaisen-Oberschule (sowie der Helene-Kaisen-Grundschule). Dem Kuratorium der Stiftung gehören mittlerweile der Schulleiter und seine Stellvertreterin an.
Betreut werden die Besucher an den Öffnungstagen wie bei Sonderführungen durch ein vielköpfiges Team ehrenamtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Wer möchte, kann das seit 2016 mit Hilfe eines Audioguide tun, auch in einer plattdeutschen Version.
IV.
Nach dem Tode Wilhelm Kaisens war das Wohnhaus durch den Sohn Franz und die Tochter Ilse, nach dem Tod des Bruders im Jahre 1998 ausschließlich durch Ilse Kaisen bewohnt geblieben. Nachdem sie 2005 in das Forum Ellener Hof in Bremen-Osterholz umgezogen war, stand das Haus zunächst leer. Die Formulierung in der Satzung der Stiftung, das „Wohnhaus der Familie als Gedenkstätte der Allgemeinheit zugänglich machen“, war für den Vorstand Anlass und Verpflichtung zu beschließen, sämtliche Räume des Hauses in ihrer vorgefundenen Gestalt zu erhalten und so Leben und Wohnen der Familie Kaisen über den Tod Wilhelm und Helenes hinaus zu dokumentieren. Dem kam zu Gute, dass die Möblierung des Hauses in Teilen – besonders in der Wohnküche und dem älterem Wohnzimmer, der „Stube“ – noch aus den zwanziger und dreißiger Jahren stammt und auf die Anfänge des Wohnens auf der Siedlerstelle zurückgeht. Beauftragt wurden Eva Determann und Hilke Packmohr vom „projektlabor raum“ mit der konzeptionellen Planung und Umsetzung von Renovierung, Umgestaltung und Neueinrichtung. Am 13. September 2015 wurde das Kaisen-Wohnhaus eröffnet und ist seitdem als Teil der Dokumentationsstätte für die Öffentlichkeit zugänglich. Als Authentikum ergänzt es die Scheune in idealer Form.
Bleibt vom Ensemble noch das Gewächshaus. Ein einfaches Gewächshaus hatte Wilhelm Kaisen schon während des Krieges auf seiner Siedlerstelle bewirtschaftet. Hier zog die Familie Frühgemüse und das, was sie als Selbstversorger zum Leben benötigten. Anlässlich seines Ausscheidens aus dem Senat schenkten ihm 1965 die drei städtischen Gesellschaften, Stadtwerke Bremen, Bremer Straßenbahn AG sowie Bremer Lagerhausgesellschaft ein neues, das heutige Gewächshaus. Hier wachsen zwei Rebstöcke, von denen einer an seinen im 2. Weltkrieg gefallenen Sohn Niels erinnern sollte. Nach Wilhelm Kaisens Tod war das Gewächshaus lange Jahre ungenutzt geblieben. 2011 übernahm der Verein „Weinkonvent zur Rose“ Betrieb und Pflege des Gewächshauses. Seitdem reift hier Jahr für Jahr ein trockener Rosé heran, der besonders an den Tagen der Offenen Tür verkostet werden kann.
V.
Wenn sich die Stiftung in der Präambel seiner Satzung verpflichtet, „das Andenken an das Wirken und die Leistungen Wilhelm Kaisens und seiner Ehefrau Helene … der Nachwelt zu erhalten“, so tut sie das nicht museal zurückgewandt, sondern vorausschauend, mit dem bewussten gesellschafts- und bildungspolitischen Ansatz, Wilhelm und Helene Kaisens politisches und gesellschaftliches Gedankengut umzusetzen und in die kleinen und großen Fragestellungen der heutigen Zeit zu transportieren.
Die Voraussetzungen hierzu schuf die Stiftung im Jahre 2000 mit der Herausgabe einer politischen Biographie Wilhelm Kaisens durch Karl- Ludwig Sommer, die die Grundkenntnis über Person und Wirken Kaisens auf eine neue und wissenschaftlich solide Grundlage stellte. Ergänzt wurde das Werk durch die persönlichen Erinnerungen Ilse Kaisens an Eltern und Geschwister „Unser Leben in Borgfeld“, die sie 2003 verfasste und die ihr der Vorstand der Stiftung damals zu ihrem 90jährigen Geburtstag schenkte.
In Zusammenarbeit von Stiftung und Staatsarchiv wurden nach Überführung des letzten, noch im Wohnhaus vorhandenen Schriftguts der Familie Kaisen, sämtliche bisherigen Teile des umfangreichen politischen und privaten, schriftlichen Nachlasses der Familie Kaisen neu strukturiert, zu einem Depositum der Stiftung zusammengefasst und digital verzeichnet. Seit 2016 ist es über ein Findbuch auf der Internetseite der Stiftung öffentlich zugänglich. Geblieben ist im Wohnhaus der Familie Kaisen die umfangreiche Bibliothek Wilhelm und Helene Kaisens, die in ihren ältesten Teilen noch auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreicht. Überwiegend sind es Sachbücher, das geistige, politisch-gesellschaftliche Rüstzeug Wilhelm und Helene Kaisens. Aber auch viel schöngeistige Literatur und besonders Biographien finden sich in den Bücherregalen überall im Haus. Eine Leseleidenschaft, die die Eltern Kaisen an ihre Kinder weitergaben und deren Erfassung sich die Stiftung zur Aufgabe gesetzt hat. So konnte 2017 eine erste Übersicht über die älteren Buchbestände gedruckt erscheinen, die zusammen mit den anderen Schriften der Stiftung in der Dokumentationsstätte ausliegt
Einmal im Jahr macht die Stiftung in besonderer Weise auf sich aufmerksam. Jährlich am 22. Mai, dem Geburtstag Wilhelm Kaisens, lädt sie zur Kaisen-Lesung ins Bremer Rathaus ein. Bezugnehmend auf Person und Wirken Wilhelm Kaisens kommen ausgewählte politische und gesellschaftliche Themen aus der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart zum Vortrag: so zum Beispiel das Verhältnis der Reichs- bzw. Bundespräsidenten Friedrich Ebert, Theodor Heuss und Karl Carstens zu Bremen, Lesungen über Wilhelm Kaisen als Europäer, als Atlantiker und als Förderer von Rundfunk und Sparkasse in Bremen, über die frühe Einwanderungspolitik in der Ära Kaisen, die politische Frau im Nachkriegsbremen oder eine Annäherung an eine Biographie Helene Kaisens. Ergänzt werden die Kaisen-Lesungen seit 2016 durch eine „Matinee“, die in der Scheune der Dokumentationsstätte in Borgfeld am Jahresende stattfindet, zuletzt über Wilhelm Kaisen und die Rückgabe von Urkunden an St. Gallen. Alle Texte erscheinen in der „Schriftenreihe“ der Stiftung.
VI.
Gegründet durch Wilhelm Kaisen gibt es in Bremen die Wilhelm Kaisen Bürgerhilfe. Beide Stiftungen ergänzen einander, eine Verbindung, die es auch zum Verein Kaisen-Häuser e.V. gibt und seit jüngster Zeit zur Bundeskanzler Helmut Schmidt-Stiftung in Hamburg.
Franz Kaisen und Ilse Kaisen sind heute nicht mehr am Leben. Franz starb 1998, Ilse 2013, nachdem sie 2005 ihr Elternhaus verlassen hatte. Mit ihren Eltern ruhen sie auf dem Riensberger Friedhof in gemeinsamer Grabstätte, satzungsgemäß gepflegt durch die Stiftung.
Nach dem Tode der letzten Nachkommen Wilhelm und Helene Kaisens hat die Stiftung ihr Erbe in die Hand genommen und als Vermächtnis weiterentwickelt. Sie ist dabei nicht stehen geblieben. Heute heißt es, für die Zukunft zu planen: das Erreichte sichern, Neues entwickeln. Der Blick richtet sich dabei auf die Erschließung des rückwärtigen Grundstücks der ehemaligen Siedlerstelle zwischen Stift und Mittelsfleet.
Vieles ist vorstellbar, über das in fünfundzwanzig Jahren Erreichte hinaus, lebendig, zukunftsorientiert, weiterhin verpflichtet dem Auftrag ihrer Gründer. Und so ganz auch im Sinne Wilhelm Kaisens, wenn er nach Übernahme des Amts als Bürgermeister seine Antrittsansprache vor nunmehr 75 Jahren mit dem Aufruf beendete:
„Vorwärts an die Arbeit!“