Vor 75 Jahren – am 23. Mai 1949 – trat das Grundgesetz in Kraft. Es bildet bis heute bildet die Basis für die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Eine Schmuckmappe, die den „Vätern (und Müttern) des Grundgesetzes“ überreicht wurde, erinnert in unserer Dokumentationsstätte an dieses denkwürdige Ereignis.
Auf Vorschlag von Wilhelm Kaisen, Max Brauer, Erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg sowie des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard wählte man bewusst die provisorische Bezeichnung „Grundgesetz“, um den Weg zu einer künftigen Vereinigung Deutschlands offen zu halten. Dazu erinnert sich Kaisen in seinen Memoiren „Meine Arbeit, mein Leben“ (S. 262)
„Um den Wünschen nach Unterstreichung des provisorischen Charakters dieser Lösung gerecht zu werden, beantragten der bayerische Ministerpräsident Ehard, Max Brauer und ich, anstatt »Verfassung« das Wort »Grundgesetz« zu wählen. Anstatt eines Referendums durch das Volk sollten die Landtage die Ratifizierung dieses Grundgesetzes vornehmen. Mit diesen beiden Änderungen, die einstimmig gebilligt wurden, sollte der provisorische Charakter dieser Staatsgründung unterstrichen werden.“
Bis zur Ratifizierung des vom Parlamentarischen Rat ausgearbeiteten Grundgesetzes am 23. Mai 1949 hat Wilhelm Kaisen mehrfach vor der Bürgerschaft dazu Stellung nehmen müssen, da sie über Annahme oder Ablehnung zu beschließen hatte. Er appellierte am 12.8.1948 mit folgenden Worten:
„Der Senat legt Wert darauf, daß ich zu dieser wichtigen Verabschiedung des Grundgesetzes noch einige Worte sage über die Notwendigkeit der Zusammenfassung dessen, was wir zusammenzufassen vermögen. Alle die Fragen, die nicht mehr auf Länderbasis, Zonenbasis oder Zweizonenbasis gelöst werden können, die auf größerer Ebene gelöst werden müssen, alle diese großen übergebietlichen Fragen drängen geradezu danach, dass wir endlich die Zusammenfassung der drei Zonen – und wenn möglich auch der vierten – fertig bekommen. Sie wissen, dass das nicht allein von dem Entschluss der Deutschen abhängt, sondern letztlich davon, ob sich vier Besatzungsmächte in Paris über eine neue deutsche Lösung einig werden. Welche Lösung dort gefunden wird, wir wissen es nicht. Wir möchten nur, dass das, was wir jetzt erreichen können, nämlich die Zusammenfassung der drei Zonen, gesichert wird und nicht noch verloren geht, so dass wir uns schließlich am Ende dieser Verhandlungen nicht in einzelne Zonen aufgelöst wiederfinden.
Aber über das Notwendige, was wir in diesem Augenblick tun müssen, darüber müßte doch zwischen uns allen, einerlei ob KPD, SPD, CDU usw., Einigkeit zu erzielen sein, nämlich das, was auseinandergerissen vor uns liegt, erst einmal wieder in einem staatsrechtlichen Rahmen zusammenzufassen. Wenn das erfolgt ist, kommt es allerdings darauf an, wie ein Diskussionsredner ganz richtig bemerkte, mit welchem Inhalt man diesen Rahmen ausfüllt. Die Form ist nicht das Entscheidende, entscheidend ist, welche Verhältnisse wir durch dieses Grundgesetz zu schaffen vermögen.
Sie werden sich aus unseren Debatten vor 1933 gewiß erinnern, daß der Begriff des Kompromisses in jenem überholten Sinne die politische Atmosphäre sehr vergiftet und dazu geführt hat, dass die extremen Flügel immer mehr zugenommen haben, so dass die Verhältnisse sich schließlich so entwickelten, wie wir alle sie erlebt haben. Jedenfalls ist es das entscheidende Merkmal des uns vorliegenden Kompromisses, dass er uns einen wesentlichen Schritt weiter gebracht hat auf dem Wege der von uns erstrebten Vereinigung der wirtschaftlichen und politischen Kräfte in Deutschland. Und ich will hoffen, dass dieser Schritt, der jetzt getan wird, in einiger Zeit weitere Schritte dieser Art nach sich ziehen wird, dass in absehbarer Zeit auch die im Osten liegenden Gebiete den Anschluss an die jetzt zustandegekommene Vereinigung der drei deutschen Westzonen finden werden, so dass das Deutschland, so geschlagen es auch herausgekommen ist aus der großen Katastrophe dieses Krieges, in seinem Aufbau von unten nach oben schließlich wieder zusammengefaßt ist zu einer großen Einheit und dadurch auch das Los unserer schwer leidenden Bevölkerung gebessert wird. Nehmen Sie daher das Grundgesetz an!“