Am 16. Januar 1934 zog die Siedlungsberaterin „Fräulein Glashoff“ in die Siedlung Katrepel ein. Die junge, offensichtlich unverheiratete Frau hatte die Aufgabe, die Siedler bei der Anlage ihrer Betriebe und Ländereien im Sinne der biologisch-dynamischen Landwirtschaft zu unterstützen bzw. anzuweisen.
In den Lebenserinnerungen von Wilhelm Kaisen bleibt dies unerwähnt, doch Ilse Kaisen „Unser Leben in Borgfeld“ erinnert sich:
„Ursprünglich sollten die Siedler ihr Land „biologisch-dynamisch“ bearbeiten, eine Methode, die von dem Gartenarchitekten Max Schwarz in Worpswede vertreten wurde. Eine Siedlungsberaterin, die diese Methode verfolgte, wurde den Siedlern zur Seite gestellt. Sehr viel weiß ich nicht davon, doch erinnere ich mich, dass die Grassoden, die von dem Ödland geplagt worden, zu einem Komposthaufen aufgeschichtet wurden. Dieser Komposthaufen wurde in der Nacht bei Vollmond mit irgendetwas Spökenhaften gedüngt. Die Methode hat sich nicht durchgesetzt und bei den Bauernsöhnen große Heiterkeit hervorgerufen. Fräulein Glashoff blieb bis zum Spätsommer (1934) in der Siedlung. Sie wohnte im Haus uns gegenüber bei einem jungen Ehepaar und kam so mit unserer Familie natürlich mehr ins Gespräch. Ich habe noch in Erinnerung, dass sie später nach Island ging, denn es war zu der Zeit abenteuerlich, wenn jemand von Deutschland ins Ausland ging.“
„Fräulein Glashoff“ hieß mit vollständigen Namen Helene (genannt Hella) Glashoff (1901–1992). Sie zählt heute zu den wiederentdeckten Pionierinnen der ökologischen Landwirtschaft.
Die gebürtige Saarländerin wuchs in einer sehr naturverbundenen Familie zusammen mit drei Geschwistern auf. Als Vater eine Stelle als Forstmeister in Bremervörde antrat, zog die Familie nach Nordwestdeutschland. Nach dem Abitur absolvierte Hella eine Ausbildung zur Gärtnerin und studierte anschließend in Berlin Garten- und Landschaftsbau.
1931 ging sie als Betriebsleiterin an die Gartenbau- und Siedlerschule von Max Karl Schwarz (1885–1963) in Worpswede. Hier kam sie erstmals mit den Prinzipien der biologisch-dynamischen Landwirtschaft in Berührung, für die sie sich fortan begeisterte.
Der Gartenarchitekt Schwarz war überzeugter Anhänger der anthroposophischen Lehre nach Rudolf Steiner. Er hatte auch für die Katrepeler Siedlerstellen einen Gestaltungsplan entworfen. Später entwickelte das Konzept des „Gärtnerhofs“, welches kleinbäuerliche Landwirtschaft mit Gartenbau verbindet.
Im Vergleich zu konventioneller oder organischer Landwirtschaft steht bei der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise die Kreislaufwirtschaft im Vordergrund. Die Fruchtbarkeit des Bodens soll ohne künstliche Düngemittel, nur durch Beigabe biodynamischer Präparate und unter Berücksichtigung „kosmischer Rhythmen“ (Tageszeiten, Mondzyklen) erhöht werden.
Für die Garten- und Siedlungsberaterin Hella Glashoff war Katrepel vermutlich nur eine von vielen Projektstationen, und dazu keine besonders erfolgreiche. Im Auftrag des Sozialreformers Gustav von Bodelschwingh war sie in den 1930er-Jahren an verschiedenen Orten (Dünne bei Herford, Jeggen bei Osnabrück) im Einsatz. Zwischenzeitlich arbeitete sie sogar in Island, kehrte jedoch um 1936 wieder zurück nach Worpswede, um bei Schwarz landwirtschaftliche Versuchsreihen zu betreuen. Diese Erfahrungen verarbeitete sie in einem ganzheitlichen Selbstversorgungs- und Unterrichtskonzept.
Unberührt vom Organisationsverbot anthroposophischer Vereinigungen gelang es Hella Glashoff über die gesamte NS-Zeit hinweg, nicht nur ihre Beratungstätigkeiten auszuüben und dafür weite Strecken zurückzulegen. Sie nahm auch organisatorisch eine Pionierinnenrolle ein, da sie als eine der ersten und wenigen Frauen in landwirtschaftlichen Verbänden (Bäuerliche Gesellschaft, Auskunftsstelle für biodynamische Wirtschaftsweise) Leitungsfunktionen innehatte.
Nach 1945 erwarb sie ein Haus mit Grundstück in Glückstadt/Elbe, das sie nach den Prinzipien des biodynamischen Gärtnerhofs bewirtschaftete. Trotz körperlicher Einschränkungen, bei einem Zugunfall verlor sie einen Arm, unternahm sie bis ins hohe Alter, oft zusammen mit ihren Schwestern, Vortrags- und Forschungsreisen und betreute agrarökologische Projekte. 1991 kehrte sie zurück nach Bremervörde, wo sie 1992 verstarb.
Ihr zu Ehren wurde 1995 eine buttergelbe Schafgarbe „Hella Glashof“ benannt, die sich laut Züchter durch ihren Duft, ihre Vielseitigkeit und Robustheit auszeichnet und heute in vielen Staudengärten verbreitet ist.
Literatur:
Heide Inhetveen, Mathilde Schmidt, Ira Spieker, Passion und Profession.Pionierinnen des ökologischen Landbaus, München 2021, S.131-136
Dieter Schramer, Biografie Hella Glashoff, Forschungsstelle Kulturimpuls (o.J.)
Abb.: Gelbe Schafgarbe aus einen Pflanzenbestimmungsbuch der Familie Kaisen