Wilhelm Kaisen hatte keine leichte Kindheit. 1887 in Hamburg-Eppendorf geboren und aufgewachsen im Arbeitermilieu von Alsterdorf, musste er schon als Heranwachsender zum Familieneinkommen beitragen. Ein frühes Vorbild fand Kaisen in seinem Grundschullehrer August Wachtmann, damals ein junger Reformpädagoge, der ihn förderte und auch ermutigte, eine weiterführende Schule zu besuchen. Das Schulgeld wollte sich Kaisen in der örtlichen Seifenfabrik verdienen, ein vergebliches Unterfangen.
Ein halbes Jahrhundert später am 2. November 1950 stattete Wilhelm Kaisen, inzwischen Bremer Bürgermeister und Landeschef, in Begleitung von Ehefrau Helene, Alsterdorf und seinem ehemaligen Lehrer zu dessen 80. Geburtstag einen Besuch ab. Mit dem Dienstwagen holte er ihn von Zuhause ab und sie fuhren gemeinsam zur Schule in der Alsterdorfer Straße, wo eine Feierstunde zu Ehren von August Wachtmann stattfand.
Hans-Kai Möller ist für die Willi-Bredel-Gesellschaft auf Spurensuche in Alsterdorf gegangen und hat ein spannendes Porträts zu Kaisens frühen Jahren verfasst. Sein Bericht Wilhelm Kaisen: Eine Arbeiterjugend in Alsterdorf findet sich im Rundbrief 2019 der Willi-Bredel-Gesellschaft, den Sie hier (> PDF) einsehen können.
Der Besuch des Bremer Bürgermeisters hat seinen ehemaligen Lehrer sehr bewegt, wie ihm Wachtmann anschließend in einem Dankesbrief schilderte:
„Wenn Sie miterleben könnten, mit welcher Hochachtung, Anerkennung und Bewunderung man in Alsterdorf von Ihnen, insbesondere von Ihrem kameradschaftlichen Verhalten allen gegenüber spricht, ein Auftreten, dass durch nichts erkennen lässt, dass Sie etwa Ihre so bedeutungsvolle, hohe und wirkungsgleiche Stellung zum Ausdruck bringen wollten, so würden Sie sich gewiss herzlich freuen. Und diese Freude gönnt Ihnen niemand mehr als ich. Sie sind geblieben, was Sie immer waren, ein Mann von seltener Gemütstiefe, aus der Sie Freude, Trost und Kraft schöpfen in den Stürmen, Nöte und Sorgen Ihres amtlichen Daseins.“
Brief August Wachtmann vom 9.11.1950, Nachlass Kaisen
Die Willi-Bredel-Gesellschaft/Geschichtswerkstatt e.V. wurde 1988 von NS-Überlebenden, Historiker:innen und anderen Geschichtsinteressierten gegründet, um an Willi Bredel und sein schriftstellerisches Werk zu erinnern und zur Entwicklung eines kritischen Geschichtsbewusstseins beizutragen. Sie befasst sich mit der Erforschung und Vermittlung der Stadtteilgeschichte (Fuhlsbüttel, Alsterdorf u.a.). Ein weiterer Schwerpunkt ist die Erinnerung an den Widerstand der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus und an die unterschiedlichen Opfer dieser Zeit.